Der hochgelobte Autor der Barock-Trilogie, die 2003 bis 2004 veröffentlicht wurde, hat mit seinem Cryptonomicon den Vorläufer dazu vorgelegt, den er 1999 geschrieben hat. Auch dieses Werk ist in Umfang und Sprachbrillanz schon barock zu nennen, obwohl es in der Jetztzeit spielt. Wer die Trilogie zuerst gelesen hat, wird die Namen Shaftoe, Waterhouse und Goto wiedererkennen; die Protagonisten der Trilogie sind wohl die entfernten Vorfahren der Mitspieler aus Cryptonomicon.
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In Cryptonomicon ziehen barocke Verhältnisse in die Neuzeit ein. Es gibt auch hier Schurken, mächtige Internetfürsten, smarte und pfiffige Gauner und echte Helden sowie verfolgte Schönheiten, nur tummeln sie sich in der Informationstechnologie und ringen um Datenübertragung, Verschlüsselung und modernste Technologie. Aber auch einen sagenhaften echten Goldschatz muss der Leser nicht vermissen, die vergrabenen Goldbarren hat Stephenson geschickt mit in seine moderne barocke Geschichte eingebaut.
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Stephenson versteht es exzellent, seine üppigen Geschichten bezüglich Zeit und Perspektivenwechsel zu verschachteln, ohne dass der Leser den roten Faden verliert. So springt er von der Zeit des zweiten Weltkriegs in die Jetztzeit, in jeder dieser Epochen wechselt er episodenweise von Protagonist zu Protagonist. Dadurch werden seine Werke von beeindruckendem Umfang (immerhin hat das Cryptonomicon in der gebundenen Ausgabe stolze 1180 Seiten) immer wieder mit neuen Spannungsmomenten versehen und verlieren auch in dieser manchmal ausufernden Erzählweise nie die Aufmerksamkeit des Lesers. Er erlaubt sich ausgedehnte Ausflüge in die Mathematik, die Kryptologie und die Informationstechnologie, ist doch zum Beispiel Alan Turing, einer der frühen Theoretiker der Computertechnologie, einer seiner Protagonisten.
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Bei diesen Passagen fordert Stephenson seine Leser sehr wohl, muss man sich doch stark konzentrieren, will man ihm auf diesen Exkursen folgen. Doch versteht er es sehr gut, anhand praktischer Beispiele auch einem absoluten Laien eine komplexe Materie zu erklären. Und er scheint einen guten Instinkt dafür zu haben, wie lange er den Leser damit fordern darf, und wann wieder eine kleine aktionsreiche Heldentat angesagt ist.
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Daher ist Cryptonomicon nicht nur eine faszinierende, spannend geschriebene Abenteuergeschichte, sondern fast nebenbei und unbemerkt lernt der gefesselte Leser eine Menge über die verschiedenen Aspekte moderner Informationstechnologie. Man kann dem Autor nur weiter viel Zeit zum Schreiben wünschen.